Wer am falschen Ast sägt


Wirtschaftlich ist Deutschland aktuell ziemlich angeschlagen. Nicht nur die Großindustrie, sondern auch dem Tischler- und Schreinerhandwerk nahestehende Branchen sind betroffen. Am Rande der TSD-Mitgliederversammlung sprach TSD-Präsident Thomas Radermacher im Interview über die aktuelle Situation.

TSD-Präsident Thomas Radermacher im Gespräch mit der zukünftigen TSD-Hauptgeschäftsführerin Dr. Katharina Gamillscheg. © TSD


Der Neubau steckt tief in der Krise und auch die Möbelindustrie und mit ihr die Zulieferer haben mit großen Auftragsrückgängen zu kämpfen. Wie ist die Situation im Tischler- und Schreinerhandwerk, ähnlich trüb oder kann sich die Branche dagegenstemmen?
Radermacher: Ich glaube, das ist im Moment die 100-Millionen-Dollar-Frage, die selbst von den aktuellen Konjunkturumfragen in unseren großen Landesverbänden nicht so richtig zu beantworten ist. Schaut man auf den langfristigen Vergleich steht das Tischler- und Schreinerhandwerk mit Auftragsreichweiten von etwa zehn Wochen gut da. Doch 2021 und 2022 waren wir trotz Corona und Energiekrise noch besser. Aber was sagt das jetzt aus? Sehen wir bereits den Beginn des Negativtrends oder beweist das Tischler- und Schreinerhandwerk erneut seine Krisenstabilität? Ich glaube, es ist eine Kombination aus beidem und dass die Widerstandfähigkeit der Branche inzwischen auch angekratzt ist. Umso mehr kommt es jetzt darauf an, dass insbesondere der Baubereich wieder in Schwung kommt und die nachgelagerten Effekte nicht voll durchschlagen.

Wie ist denn die Stimmung? Was erwarten die Betriebe?
Radermacher: Die Erwartungen sind zurückhaltend, was vor allem an den Rahmenbedingungen liegt. Denn die sind derzeit alles andere als einfach. So macht die Wirtschaft vor allem auch politisch ein sehr schweres Jahr durch. Nehmen wir nur das Hin und Her um das Gebäudeenergiegesetz. Oder die fehlenden 60 Milliarden im Bundeshaushalt. Vor einem Jahr schaffte es die Ampelkoalition mit markigen Sprüchen – Stichwort "Doppel-Wumms" –, aber auch durch entsprechende Taten, die Lage zu beruhigen. Momentan scheitern diese Versuche jedoch auch deshalb, weil großen Ankündigungen kaum Maßnahmen folgen und die Bundesregierung sehr angeschlagen wirkt.

"Wer die Handwerkswirtschaft immer weiter schwächt, untergräbt einen der wichtigsten Stabilitätsfaktoren." Thomas Radermacher, TSD-Präsident

Apropos GEG: Das novellierte Gesetz stellt zum jetzigen Zeitpunkt zumindest teilweise die energetische Holzresteverwertung in Tischler- und Schreinerbetrieben infrage. Wie ist hier der Sachstand?
Radermacher: Nachdem wir nun über Monate mit zahlreichen Bundestagsabgeordneten, Staatssekretären und Referenten aller Regierungsparteien und verschiedener Ministerien gesprochen haben und nicht müde geworden sind, auf die eklatante Diskrepanz zwischen dem Brennstoffpassus im novellierten Gebäudeenergiegesetz und der Bundesimmissionsschutzverordnung hinzuweisen, wurde uns im November bei einem persönlichen Gespräch mit dem Bundeswirtschaftsministerium bestätigt, dass man mit dem Gesetz keine Einschränkungen des Tischler- und Schreinerhandwerks in Fragen der energetischen Holzresteverwertung bezwecke. Diese mündliche Zusicherung begrüßen wir zwar, aber sie reicht nicht aus, solange diese Absicht nicht auch in geeigneter Form schriftlich im Gesetz verankert ist. Daran arbeiten wir zurzeit mit Hochdruck. Denn am 1. Januar tritt das GEG in Kraft. Es gibt zwar eine indirekte Übergangsfrist durch das noch ausstehende Wärmeplanungsgesetz, doch wir brauchen jetzt so schnell es geht verlässliche Klarheit.

Was belastet sonst noch?
Radermacher: Wenn ich jetzt Bürokratiebelastung sage, wird der eine oder andere mit den Augen rollen. Doch es bewegt sich in diesem Punkt einfach nichts. Erst vor wenigen Wochen hat unser bayerischer Landesverband im Zuge seiner Konjunkturumfrage auch die Bürokratiebelastung in den Betrieben erhoben. Mehr als 90 Prozent der Befragten sehen eine Zunahme allein in den vergangenen drei Jahren. Vor allem neue Vorschriften sowie Nachweis- und Meldepflichten belasten. Außerdem besteht ein großer Anpassungsdruck an Regeländerungen, neue Gesetze und Vorschriften. Wenn das bereits unsere Innungsmitglieder so empfinden, die ja über die Verbandsmedien, Seminare und Beratungen einen essenziellen Informationsvorsprung haben, dann ist das Thema brisanter denn je. Und wenn über 50 Prozent der Unternehmen ihre betriebliche Effizienz durch bürokratische Vorgaben ernsthaft behindert sehen oder der Weg in die Selbstständigkeit trotz bester Zukunftsaussichten vor allem aufgrund bürokratischer Hürden gescheut wird, dann muss sich niemand wundern, wenn der sonst so zuverlässigen und stabilisierenden Wirtschaftsmacht von nebenan der Geduldsfaden reißt.

"Wer am falschen Ende spart, schafft kein klimafreundliches Wachstum." Thomas Radermacher, TSD-Präsident

Was darf dem Tischler- und Schreinerhandwerk angesichts der aktuellen Umstände Mut machen?
Radermacher: Mittelfristig dürfen uns die hervorragenden Zukunftsaussichten des Tischler- und Schreinerhandwerks weiterhin zuversichtlich stimmen. Und kurzfristig profitiert unsere Branche von ihrer Flexibilität durch das gemischte Fertigungsprogramm und die aktuell immer noch recht gute Auftragsreichweite. Hinzu kommt, dass unsere mittelständischen Handwerksbetriebe mit ihrer gesunden Eigenkapitalquote generell ein Stabilitätsfaktor für unsere Wirtschaft sind. Umso unverständlicher ist es, dass ausgerechnet der Mittelstand immer weiter belastet wird. Wie lange soll das gut gehen? Wenn es jetzt also darum geht, bei knapper Kasse die Gelder neu zu verteilen, muss die Bundesregierung deutlich Farbe bekennen und darf vor allem die für den Kampf gegen den Klimawandel relevanten Gewerke nicht weiter benachteiligen. Da beherztes Handeln im Moment allerdings nicht zu den großen Stärken der Ampelkoalition gehört, leidet die Zuversicht und der gesamtwirtschaftliche Ausblick wird immer düsterer. Noch muss sich das Tischler- und Schreinerhandwerk nicht davon anstecken lassen. Doch ewig trotzen könnte auch unsere Branche diesen Entwicklungen nicht.

Herzlichen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Fridtjof Ludwig

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